Die Versicherungswelt wird sich im nächsten Jahrzehnt stärker verändern denn je. Dazu tragen sogenannte Megatrends bei, die - heute schon erkennbar - für zukünftige Entwicklungen in allen Bereichen von enormer Wichtigkeit sind. Wir stellen heute einen Teil der aktuellen Megatrends vor, die Versicherer beachten sollten, wenn sie in zehn Jahren noch zu den Hauptakteuren am Markt gehören wollen.
Als „Megatrends“ gelten besonders tiefgreifende Trends, die einen erheblichen Wandel in der Gesellschaft und der Wirtschaft verursachen. Ihre Veränderungskraft greift dabei global in die verschiedensten Bereiche wie Politik, Kultur und Konsum ein. Im Vergleich zu Produkt- und Modetrends, die eine Halbwertszeit von maximal fünf Jahren besitzen, sind Megatrends dadurch gekennzeichnet, dass sie erst nach einer Dauer von mindestens 50 Jahren anfangen an Gültigkeit zu verlieren.
Das Zukunftsinstitut beschäftigt sich seit 1998 mit der Trend- und Zukunftsforschung in Deutschland und beobachtet derzeit insgesamt zwölf Megatrends*. Wir haben diejenigen Trends ausgewählt, die wir als besonders relevant für die Versicherungsbranche erachten und diese näher beleuchtet.
Megatrend „Gesundheit“
Gesundheit bleibt ein wichtiges Thema und prägt dadurch sämtliche Lebensbereiche. Warum Gesundheit zu einem der Megatrends zählt, liegt daran, dass immer mehr Menschen nach einer hohen Lebensqualität streben und auch bereit sind, aktiv etwas dafür zu tun. Im Vordergrund steht demnach nicht die bloße Gesundheitsabsicherung, sondern viel mehr die Gesundheitserhaltung. Ein Trend, der Versicherern geradezu in die Karten spielt, denn gesunde Kunden sind gerne gesehen.
Der Trend der Gesundheitserhaltung durch bessere Ernährung oder sportliche Aktivitäten sollte künftig von Versicherern mehr belohnt werden - durch z.B. Boni wie heute schon mit dem jährlichen Bonusheft. Digital Health und IoT-Geräte (z.B. Wearables) helfen außerdem zunehmend dabei den Gesundheitszustand von Menschen zu tracken. Sie liefern wertvolle Daten, die Versicherer für personalisierte Produkte nutzen können.
Megatrend „Individualisierung“
Menschen streben immer mehr nach Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung. Der Megatrend der Individualisierung verdrängt allmählich die klassischen Versicherungssparten (Kranken, Leben, Sach), wie sie heute existieren. Kunden suchen maßgeschneiderte und personalisierte Produkte, die ihre individuellen Bedürfnisse abdecken und bestmöglich die Aspekte absichern, die für sie am wichtigsten sind. Dies führt dazu, dass Versicherer ihre Zielsegmente neu ausarbeiten und eine Vielfalt an Produkten schaffen müssen, die individuell kombiniert werden können.
Megatrend „Konnektivität“
Die Vernetzung auf Basis digitaler Infrastrukturen bringt neue Lebensstile, Verhaltensmuster und Geschäftsmodelle hervor. Heutzutage besitzen Personen eine Vielzahl an Geräten, die mit dem Internet verbunden sind, und die Anzahl wächst stetig. Zu dieser Entwicklung trägt das Internet der Dinge (IoT) erheblich bei. Das Streben der Menschen nach Konnektivität eröffnet Versicherern die Möglichkeiten, ihre Kunden genauestens kennenzulernen, sowie Marketingstrategien und ihr Produktangebot zu optimieren.
Nicht nur „Smart Home“ Anwendungen oder Telematik-Tarife für Fahrzeuge steuern Daten bei, sondern vermehrt auch Gesundheitsdaten, die von Kunden ständig über FitBits, Smartwatches und Apps erzeugt werden. Gerade für biometrische Tarife bei Lebensversicherungen oder im PKV-Bereich zeichnet sich hier ein großer Trend ab, der Kunden bevorzugt, die ihre Gesundheitsdaten zur Verfügung stellen.
Megatrend „Automatisierung“
Menschliche Tätigkeiten werden zunehmend durch den Einsatz von bspw. Künstlicher Intelligenz ersetzt. Dabei handelt es sich oft um Tätigkeiten, die wiederkehrend auftreten. Durch die Automatisierung repetitiver Aufgaben wird mehr Zeit geschaffen, die in eine bessere Kundenbeziehung investiert werden kann.
Ein schneller und effizienter Self-Service mit Problemlösung in Echtzeit erlangt an großer Bedeutung für Kunden. Chatbots werden heute bereits überall eingesetzt, um einfache Probleme zu lösen. Durch ihre Weiterentwicklung kann erreicht werden, dass diese Systeme selbst bei größeren Problemstellungen die Kunden zufriedenstellen.
Weitere Entwicklungen
Neben den aktuellen Megatrends bietet die Studie „Vision Versicherung 2030“ von BearingPoint** weitere Ausblicke in die Zukunft des Versicherungswesens. Die wichtigsten Erkenntnisse möchten wir im Folgenden für Sie zusammenfassen.
Organisation
Um in Zukunft als Versicherung relevant auf dem Markt zu bleiben, sind neue Organisationsformen nötig, die schnelle Reaktionen auf sich ändernde Wettbewerbsbedingungen, Kundenanforderungen und Technologien ermöglichen. Eine ambidextre Organisation stellt so eine Form dar. Sie verbindet effizientes Wirtschaften mit einem hohen Innovationspotenzial. Unterschieden wird generell zwischen kontextueller („Mitarbeiter haben einen gewissen Freiraum zur Ideenfindung und -generierung innerhalb ihrer herkömmlichen Funktion“) und struktureller Ambidextrie („Mitarbeiter arbeiten ausschließlich zur Ideenfindung und -generierung oder ausschließlich in ihrer herkömmlichen Funktion“).
Innovationen sind dahingehend wichtig, um am Markt mithalten zu können und schnelle Releases sicherzustellen. Zentrale Bedeutung erlangen außerdem die Themen Agilisierung und Dezentralisierung, sowie direktes Kundenfeedback.
Neue Geschäftsmodelle
Neben der Umstrukturierung der Organisation, treten neue Geschäftsmodelle in den Fokus. Die ambidextre Organisation birgt hier eine große Innovationskraft. BearingPoint liefert in der Studie bereits einige Konzepte und Ideen zu neuen Modellen.
Eine Idee, die vorgestellt wird, betrifft den Versicherungsschutz durch Nicht-Versicherungsunternehmen. Als Beispiel werden Krankenhäuser genannt, die oftmals über mehr Daten verfügen als Versicherer und auch näher am Kunden sind. Unternehmen wie sie könnten in Zukunft Point-of-Sales Funktionen übernehmen.
Vertrieb
Immer mehr Kunden informieren sich über das Internet selbst über vorhandene Versicherungsprodukte und vergleichen sie über verschiedene Plattformen. Eine steigende Anzahl an Direktgeschäften bei einfachen Versicherungen wird höchstwahrscheinlich in Zukunft weiterhin der Fall sein. Laut BearingPoint gehen Beratungsgespräche allerdings nicht komplett verloren, denn gerade bei Lebensversicherungen und Altersvorsorge setzen Kunden weiterhin auf einen persönlichen Kontakt. Dieser wird allerdings nicht mehr zwangsweise vor Ort stattfinden, sondern überwiegend per (Video-)Telefonie.
Wir gehen hier einen Schritt weiter und sagen, dass selbst bei den Themen Lebensversicherungen und Altersvorsorge die persönlichen Beratungsgespräche erheblich reduziert werden. KI-gestützte Software kann heutzutage schon dabei helfen, Gesundheitsrisiken autonom zu evaluieren, weshalb die Unterstützung durch Makler ggf. nur noch optional ist. Selbst der Abschluss biometrischer Versicherungsprodukte wird dadurch direkt am Point-of-Sale möglich. Die Rolle der Makler und Vermittler wird sich in Zukunft wandeln und sie werden vornehmlich als Ansprechpartner auf Abruf entlang der kompletten Customer Journey zur Verfügung stehen.
Rückversicherer als Erstversicherer
Im Bereich Underwriting und Risikomanagement werden Rückversicherer in Zukunft zunehmend an die Stelle der Erstversicherer treten. Zum einen, können sie den Markt genauer beobachten, da sie über größere Datenmengen verfügen, und somit gezielt noch nicht versicherte Risiken identifizieren. Dies macht es ihnen möglich, über die Tätigkeiten einer Rückversicherung hinauszugehen und ihren Vorteil auszuspielen, indem sie Nischenprodukte als Erstversicherer auf den Markt bringen.
Zum anderen, ist zu vermuten, dass Rückversicherer in Zukunft vermehrt in InsurTechs investieren werden, die Versicherungs-Tools anbieten wie z.B. Software für den Bereich des Underwritings. So eröffnet sich Rückversicherern ein neues Geschäftsfeld mit dem Vertrieb von Software.
Kundenservice
Der Trend, Kunden über verschiedene Kanäle zu erreichen, zeichnet sich heute schon ab. Nicht nur traditionelle Wege wie Telefonie oder E-Mail werden zukünftig genutzt, sondern vermehrt auch neue Kanäle wie Social Media, Apps oder Messenger-Dienste. Dabei wird im Kundenservice auf Automatisierung durch Chatbots, Self-Service und Spracherkennung gesetzt, um Prozesse effektiver zu gestalten.
Daneben gewinnt eine allumfassende Sicht auf den Kunden zunehmend an Wichtigkeit. Kunden zeigen sich wenig erfreut, wenn sie ein Anliegen mehr als einmal kommunizieren müssen. Prozesse, die es ermöglichen jedermann im Unternehmen eine 360-Grad Sicht auf den Kunden zu bieten, werden notwendig.
Schaden/Leistung
In Zukunft wird der Bereich Schaden/Leistung vollautomatisiert abgewickelt werden. Die klassische Schadensmeldung entfällt, da der entstandene Schaden optimaler Weise direkt durch die Versicherung selbst erkannt wird. Ab hier greifen schließlich die Automatisierungsprozesse der Versicherung und bieten dem Kunden von Beginn an vorbehaltliche Aussagen über die zu erwartende Leistung. Die Aussagen werden dabei immer konkreter je weiter der Bearbeitungsprozess fortschreitet. Während dieser Zeit kann der Kunde selbst entscheiden, ob er über einen der zahlreichen Kanäle Kontakt zur Versicherung aufnehmen möchte.
Insgesamt wird so die durchschnittliche Bearbeitungszeit je Schaden inkl. Auszahlung der Leistung auf einen Tag reduziert.
IT
Es ist zu erwarten, dass On-Premise-Software zukünftig komplett durch Cloud-Dienste abgelöst wird. Daten, Dienste und Anwendungen werden nicht mehr nur auf einem zentralen Rechner installiert, sondern können über eine Cloud von überall abgerufen werden. „Software-as-a-Service-Lösungen“ können außerdem an die benötigten Nutzungskapazitäten im Unternehmen angepasst werden und ermöglichen Versicherern dadurch Flexibilität und Kosteneinsparungen. Andere Vorteile wie z.B. eine kontinuierliche Wartung der Software und neuste Updates kommen weiterhin hinzu.
Dem Thema Blockchain wird höchstwahrscheinlich in Zukunft eine große Rolle zukommen. Allerdings verzichten wir an dieser Stelle aufgrund der Komplexität auf eine verkürzte Darstellung. „Proof-of-Ownership“, Nutzung von Gesundheitsdaten und „Smart Contracts“ sind nur ein Ausschnitt möglicher Anwendungsgebiete, die zu einem späteren Zeitpunkt diskutiert werden.
Weitere Artikel zum Thema eHealth und IT in der Versicherungsbranche finden Sie auf unserem Blog unter der Kategorie Versicherung.
Comments